MSC Kunstpreis von Dr. Annette Lagler , 2016 zum Werk Sabine Jacobs / Schloss Zweibrüggen – Übach Palenberg
„Fließ“, die neueste Installation von Sabine Jacobs schuf die Künstlerin eigens für das Barockschlösschen Zweibrüggen. Die imposante Figur scheint gemach von der oberen Galerie den Freiraum der zweigeschossigen Eingangshalle hinabzutauchen. Durch die Vielzahl von grünlich-blauen Streifen, die abstrakten Pinselstrichen ähneln, erscheint die dreidimensionale Formation wie in den Raum gemalt. Scheinbar schwerelos und leicht wie eine Brise, lädt der luftige Verbund ein, die Assoziationen schweifen zu lassen. So wird der erste Eindruck einer Brise, Windböe oder Wolke bald schon von einem neuen Gedankenbild überlagert: die wie verspielte Wellen tanzenden Einzelbögen verdichten sich zur Strömung und werden schließlich zur mächtigen wal- oder wurmartigen Gestalt. Luft wird zu Wasser und Federleichtes zur gewichtigen Masse.
Sabine Jacobs setzt den Bauplan ihrer plastischen Arbeiten, das Prinzip von Detail und Gesamtheit, klar kalkuliert um. Längliche, leicht gebogene Einzelmodule aus feinem Draht, kaschiert mit eingefärbtem Seidenpapier, bestimmen die Gesamtform. Durch Reihung, Wiederholung und Abwandlung werden sie zur kurvigen Gesamtgestalt addiert. Fließende Formen, sanfte Bögen und flexible Verknüpfungen lassen abstrakte Grundgrößen wie kraftvolle Bewegung, Schweben oder Dahintreiben nachvollziehen. Damit steht ihr bildhauerisches Konzept in der Nachfolge der konstruktiven Plastik. Gleichzeitig öffnen sich durch Anspielungen auf Wasser, Brücke, Wellen und Fisch, narrative Assoziationsfelder, die mit der im Wurmtal gelegenen ehemaligen Wasserburg Zweibrüggen verbunden sind. Wie schon im Titel „Fließ“ angedeutet, ist der historische und geografische Kontext des Ortes ist Inspirationsquelle für die Installation.
Auch die Präsentationsform und Auswahl weiterer Werke hat Sabine Jacobs auf die Namensgebung des Schlosses Zweibrüggen und die darin anklingende Verbindung zwischen Natur und Architektur abgestimmt. So schmiegt sich etwa die Installation „Siedlung“ als Anhäufung kugelförmiger Hohlkörper dicht an die Fensterlaibung des Schlosses. Ihre knospenartige Struktur erinnert an krustige Gehäuse von Seepocken. Die scheinbar verlassen, angeschwemmten Hüllen wirken beim zweiten Blick durch die camouflageartige Farbgebung und die scheinbar zum Atmen geöffneten Schlitze der Kalkkronen wie Gefäße für geheimnisvoll verborgenes, organisches Leben. Sabine Jacobs spielt mit gegensätzlichen Eindrücken. Die monumentale Vergrößerung lässt das Werk „Siedlung“ kompakt und massiv erscheinen. Bei Berührung überrascht die papierne Konsistenz, sie ist federleicht. Trutzig Kraftvolles, ist zugleich dünnhäutig und angreifbar. Immer wieder verweist Sabine Jacobs auf elementare Größen der Natur.
Ihre Beobachtungen von Naturphänomenen präzisierte Sabine Jacobs zu Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn in einem umfangreichen zeichnerischen Annäherungsprozess. Mit der Werkserie „Buchenleben“ von 2004 widmete sich die Künstlerin jahrhundertealten Grenz- oder Landgrabenhecken, die heute als prägend gelten für die Eifeler Kulturlandschaft. Durch ständigen Rückschnitt wurden sie zu dicht ineinander verwachsenen, markanten Kopfbaumreihen. Mit tiefschwarzen Kohlestift auf chamoisefarbenem Papier entstehen knorrig-verdrehte Stämme, geschrundene Rinde und bizarre, knorpelartige Verdickungen, aus deren Wülsten staksige Verästelungen sprießen. Mehrfach überarbeitet, freigekratzt, erneut mit Schichtungen von unruhig-spannungsgeladenen Linienbündeln und amorphen, weiß-wattigen Flächen überdeckt, arbeitet die Künstlerin so lange, bis etwas undefinierbar Gestalthaftes entsteht. Trotz leidvoller Verstümmlung und trotzigem Überlebenskampf der Bäume scheint etwas immerwährend Neues zu keimen.
Etwa bis 2010 setzte Sabine Jacobs ausgewählte Zeichnungen skulptural um. Heute, so sagt sie, kann sie den Draht „einfach laufen lassen“, auch ohne vorhergehende Zeichnungen. Dabei verknüpft und verknotet sie feinste Drahtfäden unterschiedlichster Stärke zu filigranen Netzen und Gitterstrukturen, die als abstrakte zeichnerische Kontur sichtbar bleibt. Diese füllt, kaschiert und ummantelt sie mit hauchdünnem Seidenpapier, schneidet oder reißt es wieder auf, oder mischt teils pflanzliche Samenkörner unter. Nach und nach entsteht so ein feingliedriges Gespinst aus feinen Linien und hauchdünnen, geschichteten, semitransparenten Membranen. Früher verwendete Öle und Wachse verliehen den Schichten ein schieferartiges Gelb-Grau. Neuerdings sorgt der leichtere, oft mit Farbpigmenten versetzte Anstrich für eine größere Transparenz und Lichtdurchlässigkeit, so dass ein Schattenspiel aus zarten Linien auf den Hintergrund entsteht.
Sabine Jacobs hat ein reiches und vielfältiges Oeuvre geschaffen. Allen Arbeiten gemeinsam ist die Gratwanderung zwischen organischen und abstrakten Formen, zwischen figürlicher und konzeptueller Plastik und zwischen papierner Zerbrechlichkeit und innerer Stärke, die durch eingearbeitete Samenkeime oder larvenartige Formen eine nie vergehende Vitalität, die allen Widerständen trotzt, zum Ausdruck bringt. Sabines Jacobs gelingt es so, auf immer neue Weise, Grenzen zu überwinden und eine Synthese aus vermeintlich Widersprüchlichem herzustellen.
(Annette Lagler, 2016)