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50 lines in touch, 2015, Detailansicht

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Vitale Gratwanderungen von Dr. Dirk Tölke 2018 zur Ausstellung „wireline + paper“ / Kulturwerk Aachen e.V.

wireline + paper, das klingt im Englischen gelenker, als die deutschen Worte Draht und Papier, bei dem man vom Klang eher an DIN-Format und Geradlinigkeit denken mag. Davon ist in dieser künstlerischen Flora, die Sabine Jacobs erfunden hat, nichts zu spüren.

So wie die mit Bleistift gezogene Linie dem denkenden und empfindenden Körperempfinden von Hand, Herz und Hirn folgt, ergeben sich die Eisendrahtgeflechte der Arbeiten von Sabine Jacobs aus dem selben tagesaktuellem Zustand. Die handgeführten und von der Physik der Spannungen im Metall mitbestimmten Richtungsentwicklungen, haben ihren systematischen Anfang, einen formalen Grundaufbau und eine in Serien entwickelte Größen- und Formbeschränkung. Sie durchdringen und verknoten sich im Raum mit Richtungsbezügen auf das schon verflochtene Gerüstsegment ebenso, wie Linien auf dem Blatt, die im Wachsen der Zeichnung nach und nach Bezug zueinander nehmen und sich zum Bild bzw. zum stabil schwebenden Membrankörper verdichten.
Abstrakte Anmut und naturhafter Flair durchwirken die Objekte und Installationen aus Draht und Papier, in denen Sabine Jacobs eine kontinuierliche Vertiefung ihrer Naturbeobachtung ausdrückt.

Die Basis bilden Zeichnungen, denen genaue Beobachtungen von Pflanzen zu Grunde liegen. Wissenschaftliche Illustrationen haben das Vermögen zu illusionistischer Genauigkeit grundgelegt, Glasmalereientwürfe mit ihren Bleirutenvereinfachungen die Gefachestruktur ihrer verflächigten Liniennetze aus Draht vorbereitet.

Von Hand entwickeln sich Netzwerke von verknoteten Drahtkonturen, die mit Japanpapier ausgefüllt und mit Pigmenten und Ölen verdichtet, durchschimmernde Flächen ausbilden, in Weiß, Braun, Blau, Grün, Gelb, umkäntelt von einem Rostanflug der klebmittelbefeuchteten Drähte. In der Farbe jahreszeitlich bestimmtes, gelebtes Leben scheint subtil auf, als Wandobjekt, in Kleinserien als „lines in touch“, als zu sich zurückgewendete „follow flow“, als „middle“ oder „around“, gar als figürlich anmutende Wesen, die sich in den Raum erstrecken.

„Fließ“ durchzieht installativ den Raum, als kraftvoll sich ergießender Lebensquell, als synonym für den Fluß Wurm und seinen wieder renaturierten Lauf. Formvarianz erwirkt hier die Lebendigkeit.

So sind die Objekte der Serie „around“ jeweils aus 21 handmaßbestimmten „Bögen“ von ungleichmäßig verflochtenen Drahtnetzen gebildet, die ebenso ungleichmäßig situativ mit Papier ausgefacht werden. Zu einem Streifen aneinandergefügt und zusammengerollt ergibt sich die Grundform mit jedesmal anderem individuellem Charakter. Bei „Tondo“ ist es ein Samenkorn tragendes Blatt eines unscheinbaren Gewächses, das in neuer, künstlicher, aber naturaffiner Konstellation blütenhaften Zauber erweckt. Diese Grundform findet sich am Bauch, bzw. in Inneren des tierwesenhaften „spirits“ und im Zentrum des rokokohaften Wandobjektes „Natura“. Kontrollierter Zufall und kompositorisch konzeptuell gebundene Spontaneität, bzw. Mitempfinden ergibt sich hier aus einer Fülle von Variationen einer entschiedenen Grundform, die nicht das Geringste mit Technik, Seriellem und Massenproduktion zu tun hat, dafür viel mit Evolution und Mutation. Die Formwelten bleiben im Wachsen begriffen offen, schweben und drehen sich im Wind. Es ist das empfundene und widergespiegelte „Prinzip Natur“ und nicht Formwille, der übergriffig wird. Die stärker in den Raum ausgreifende Gestaltung der Gebilde lässt auch deren Schatten zur Wirkung kommen, etwa in den abstrakten Gerüsten der „lines in touch“.

Das umformende Einfühlungsvermögen der Künstlerin erweist sich auch in der Reaktion wandfüllender Zeichnungen auf Musik, Tanz oder Persönlichkeit, als Notationen einer Begegnung oder Erfahrung, die sich in der Zeit entwickelt, im Bewusstsein gefiltert wird und in dem Tanz ähnlichen Bewegungskürzeln komplex notiert, völlig buchstabenlos, aber zeichenaffin niedergeschrieben wird. Sensibel und wirkungsmächtig lassen auch die Graphitzeichnungen „Momente“ vielfache sinnliche Eindrücke, etwa von einem Glockenspiel (f-g) ihren Ausdruck in linearen und flächigen Verteilungsstrukturen finden, die nicht mehr auf abbildhafte äußerliche Natur reagieren, sondern auf innere Bilder mit Kulturkürzeln und neuen Bildbegriffen antworten.

Die Formwelt der Sabine Jacobs wirkt wie ein Garten, ein Blumenstrauß oder eine blühende Wiese in der man sich gern bewegt, ohne Zweck und mit Freude als Resonanz.

Autor: Dr.Dirk Tölke, 2018

© Sabine Jacobs / Mitglied bei VG Bild – Kunst